500 SHAKSPERE'S KING L HERAUSGEGEBEN UND ERKLÄRT VON DR. NICOLAUS DELIUS. NEUE AUSGABE. ELBERFELD, 1864. VERLAG VON R. L. FRIDERICHS. Einleitung. Vom King Lear erschienen zuerst im Jahre 1608 drei wenig von einander abweichende Ausgaben, mit besonderer Hervorhebung von Shakspere's Namen auf dem Titelblatt, welches zugleich den Inhalt ziemlich ausführlich angab und die Notiz hinzufügte, dass die Shakspere'sche Truppe das Drama vor König Jacob in dessen Palast zu Whitehall aufgeführt habe, am 26. December, und zwar, wie aus der Eintragung des Buches in die Buchhändlerregister sich ergiebt, am 26. December 1606. Der Titel ist für alle drei Ausgaben, die wir nach ihren Formaten als Quartausgaben (Qs.) bezeichnen, fast identisch, und lautet: M. William Shak-speare: His True Chronicle Historie of the life and death of King Lear and his three Daughters. With the unfortunate life of Edgar, sonne and heire to the Earle of Gloster, and his sullen and assumed humour of Tom of Bedlam. As it was played before the Kings Maiestie at Whitehall upon S. Stephans night in Christmas Hollidayes. By his Maiesties servants playing usually at the Gloabe on the Bancke-side. London, Printed for Nathaniel Butter, and are to be sold at his shop in Paul's Churchyard, at the signe of the Pide Bull nere St. Austin's Gate. 1608. Die Erscheinung weiterer Einzelausgaben von King Lear hat die Shakspere'sche Schauspielertruppe, als rechtmässige Besitzerin des Bühnen manuscriptes, nach welchem das Drama in den drei Qs. abgedruckt ist, wahrscheinlich im Interesse ihres Theaters zu verhindern gewusst: King Lear wurde erst wieder veröffentlicht in der Gesammtausgabe von 1623 in Folio (Fol.), unter dem Titel: The Tragedie of King Lear, hier zum ersten Male in Acte und Scenen eingetheilt, jedoch ohne Personenverzeichniss, und mit besserer Unterscheidung von Vers und Prosa, die in den überhaupt höchst incorrecten Qs. gänzlich vernachlässigt ist. Der Text der Fol. unterscheidet sich durchgängig von dem der Qs. durch Verbesserungen, durch Zusätze und durch Auslassungen. Die Verbesserungen verrathen durch das ganze Drama hindurch die Hand des Dichters und führen, wie auch 191561 Staunton bemerkt, zu der Annahme, dass dem Texte der Folioausgabe eine spätere und durchgesehene Handschrift zum Grunde liegt. Bei den vielfachen Nachlässigkeiten und Incorrectheiten, an denen der Druck der Fol. leidet, behalten freilich die abweichenden Lesarten der Quartausgaben, den Varianten der Folio gegenüber, in einzelnen Fällen ihren vollen Werth. Die Zusätze, grösstentheils aus einzelnen ganzen oder halben Zeilen bestehend, mag Shakspere zugleich mit den eben erwähnten Verbesserungen dem Texte einverleibt haben. Umfangreicher als die Zusätze, welche die Fol. vor den Qs. voraushat, sind die Auslassungen: es fehlen in der Fol. ungefähr 220 Zeilen, welche in den Qs. sich finden, sämmtlich Stellen, die entweder ausführende Schilderungen enthalten, oder doch in die Entwickelung der dramatischen Handlung und der Charaktere nicht eingreifen. Es ist anzunehmen, dass der Dichter selbst diese Abkürzungen veranstaltet hat, um das Drama, nachdem sich auf der Bühne dessen übermässige Länge als ein Uebelstand herausgestellt haben mochte, den Anforderungen der Darstellung besser anzupassen. Das Jahr, in welchem King Lear verfasst wurde, lässt sich wenigstens annähernd ziemlich genau bestimmen. 1603 erschien Harsnet's von Shakspere für sein Drama mehrfach benutztes Buch Discovery of Popish Impostors, oder, wie es auch citirt wird, Declaration of Egregious Popish Impostures, und 1605 in neuer Auflage ein älteres Drama von unbekanntem Verfasser, das die Geschichte Lear's behandelte; ein Wiederabdruck, der ohne Zweifel veranlasst war durch die Popularität, deren sich der mittlerweile auf der Bühne, aber noch nicht im Druck erschienene Shakspere'sche Lear erfreute; man wollte, nach einer damals sehr gebräuchlichen Speculation, dem lesenden Publicum jenes ältere Schauspiel ähnlichen Inhalts und Namens statt des neuen, dessen man zur Veröffentlichung nicht habhaft werden konnte, darbieten. Später, am 26. November 1607, liess Nathaniel Butter, der Verleger der drei 1608 erscheinenden Quartausgaben (s. oben den Titel derselben), den Shakspere'schen Lear, in dessen Besitz er sich nach einem Bühnenmanuscripte, wahrscheinlich ohne Ermächtigung des Dichters oder seiner Schauspielergesellschaft, gesetzt hatte, als seinen Verlagsartikel in die Verzeichnisse der Buchhändlerregister eintragen, mit der beigefügten Notiz: as yt was played before the King's Majestie at Whitehall, upon St. Stephen's night at Christmas last. (Vgl. oben.) Der Dichter muss also den King Lear 1604 oder 1605 in seinem vierzigsten oder einundvierzigsten Lebensjahre, geschrieben haben. Die Sage vom König Lear und seinen drei Töchtern hat aus mittelalterlichen lateinischen und französichen Quellen ihren Weg in Holinshed's Englische Chronik gefunden, und dorther entlehnte Shakspere diesen wie so manchen anderen Stoff in seinen allgemeinen, jedoch von ihm künstlerisch vielfach modificirten Umrissen. Holinshed nämlich erzählt folgendermassen: Leir, the son of Baldud, was admitted ruler over the Britains in the year of the world 3105. At what time Joas reigned as yet in Juda. This Leir was a prince of noble demeanour, governing his land and subjects in great wealth. He made the town of Cairleir, now called Leicester, which standeth upon the river of Dore. It is writ that he had by his wife three daughters, without other issue, whose names were, Gonorilla, Regan, and Cordilla, which daughters he greatly loved, but especially the youngest, Cordilla, far above the two elder. When this Leir was come to great years, and began to wear unwieldy through age, he thought to understand the affections of his daughters towards him, and prefer her whom he best loved to the succession of the kingdom; therefore, he first asked Gonorilla, the eldest, how well she loved him: the which, calling her gods to record, protested that she loved him more than her own life, which by right and reason should be most dear unto her; with which answer the father, being well pleased, turned to the second, and de'manded of her how well she loved him? which answered (confirming her sayings with great oaths) that she loved him more than tongue can express, and far above all other creatures in the world. Then called he his youngest daughter, Cordilla, before him, and asked of her what account she made of him: unto whom she made this answer as followeth : Knowing the great love and fatherly zeal you have always borne towards me (for the which, that I may not answer you otherwise than I think, and as my conscience leadeth me), I protest to you that I have always loved you, and shall continually while I live, love you as my natural father; and if you would more understand of the love that I bear you, ascertain yourself, that so much as you have, so much you are worth, and so much I love you, and no more. The father, being nothing content with this answer, married the two eldest daughters, the one unto the duke of Cornwall, named Henninus, and the other unto the duke of Albania, called Maglanus; and betwixt them, after his death, he willed and ordained his land should be divided, and the one-half thereof should be immediately assigned unto them in hand; but for the third daughter, Cordilla, he reserved nothing. Yet it fortuned that one of the princes of Gallia (which now is called France), whose name was Aganippus, hearing of the beauty, womanhood, and good conditions of the said Cordilla, desired to have her in marriage, and sent over to her father, requiring that he might have her to wife; to whom answer was made, that he might have his daughter, but for any dowry he could have none, for all was promised and assured to her other sisters already. |